Für viele Menschen ist das Dehnen ein fester Bestandteil des Alltags – sei es morgens nach dem Aufstehen, zur Lockerung nach langem Sitzen, als Vorbereitung auf sportliche Aktivitäten, zur Erholung danach oder einfach als Element des persönlichen Fitnessprogramms. Gleichzeitig gibt es Stimmen, die vor zu viel oder falsch ausgeführtem Dehnen warnen. Tatsächlich kann übermäßiges oder unsachgemäßes Dehnen kontraproduktiv sein – und schon der bloße Gedanke an Dehnübungen weckt bei manchen unangenehme Erinnerungen an Muskelverspannungen oder Schmerzen. Doch so sollte es keinesfalls sein. Richtig angewendet, bringt Dehnen zahlreiche gesundheitliche Vorteile mit sich. Es lohnt sich also, einen genaueren Blick darauf zu werfen – und das Thema mit Bedacht anzugehen.
Was versteht man unter Dehnen?
Grundsätzlich unterscheidet man zwei Hauptformen des Dehnens: das dynamische und das statische Dehnen. Beide haben ihre Berechtigung und Einsatzgebiete.
Beim dynamischen Dehnen werden Bewegungen mit großer Amplitude durchgeführt, ohne eine Position länger zu halten. Ziel ist es, den gesamten Bewegungsumfang einer Muskelgruppe aktiv zu nutzen. Diese Form des Dehnens eignet sich besonders zur Vorbereitung auf sportliche Belastung, da sie den Kreislauf anregt, die Muskulatur aktiviert und die Beweglichkeit verbessert. Sportwissenschaftler bewerten diese Methode als besonders sinnvoll im Rahmen des Aufwärmprogramms.
Das statische Dehnen – auch als Stretching bekannt – sieht hingegen das Halten einer Dehnposition über einen gewissen Zeitraum vor. Diese Technik wirkt entspannend, steigert die Flexibilität und fördert die Durchblutung. Sie eignet sich besonders gut zur muskulären Regeneration nach körperlicher Belastung.
Tipp: Beim statischen Dehnen begibt man sich in eine Position, in der ein leichter Dehnschmerz spürbar ist. Bleibt man in dieser Stellung, lässt der Schmerz nach – ein Zeichen dafür, dass sich die Muskulatur lockert. Dann kann man die Position leicht anpassen, um die Dehnung aufrechtzuerhalten. Nach etwa 30 bis 45 Sekunden wird die Dehnstellung gelöst. Diese einfache Technik kann oft helfen, muskuläre Verspannungen sanft zu lösen.
Was geschieht beim Dehnen im Körper?
Ein Beispiel: Beim Heben der Fußspitzen zur Dehnung der Wadenmuskulatur wird eine komplexe biomechanische Reaktion ausgelöst. Die kontraktilen Elemente im Muskel – vor allem Eiweißstrukturen wie Aktin und Myosin – werden sanft auseinandergezogen. Gleichzeitig gibt das umgebende Bindegewebe einen Widerstand, um die Dehnung zu begrenzen und den Muskel vor Verletzungen zu schützen. Wer schon einmal den verspannten Nacken gedehnt hat, indem er den Kopf zur Gegenseite neigte, kennt dieses Gefühl gut – der Dehnreiz ist deutlich spürbar, aber nicht schmerzhaft.
Worauf sollte man beim Dehnen achten?
Dehnen sollte keinesfalls Schmerzen verursachen. Im Gegenteil: Die Übungen sollten angenehm sein und ein Gefühl der Entlastung mit sich bringen. Besonders wichtig ist ein achtsamer Umgang mit dem eigenen Körpergefühl. Jeder Mensch reagiert anders auf bestimmte Dehnreize – deshalb ist es sinnvoll, behutsam zu beginnen und die individuell passenden Methoden zu finden.
Gerade beim statischen Dehnen ist es wichtig, weder zu lange noch zu intensiv zu dehnen. Als grobe Richtlinie empfehlen sich drei Einheiten pro Woche à 15 bis 20 Minuten. Zu intensives Dehnen kann allerdings zu Muskelkater führen.
Bei bereits bestehendem Muskelkater sollte vollständig auf Dehnübungen verzichtet werden. Die Muskulatur ist dann bereits geschädigt – kleine Faserrisse werden repariert – und zusätzliche Dehnreize können die Heilung stören oder gar verzögern. Auch bei akuten Muskelverletzungen gilt: Kein Dehnen! Stattdessen sollte der Muskel geschont und gezielt behandelt werden.
Dehnen als Ausgleich bei Büroarbeit
Rückenschmerzen und Verspannungen im Nacken sind bei Menschen mit sitzender Tätigkeit weit verbreitet. Acht Stunden tägliches Sitzen hinterlassen Spuren: Muskeln und Bindegewebe verlieren an Elastizität. Umso wichtiger ist es, durch Bewegung und gezieltes Dehnen gegenzusteuern. Gerade Büroangestellte profitieren davon, regelmäßige Dehnübungen in ihren Tagesablauf zu integrieren – sei es in der Mittagspause oder als kurze Unterbrechung zwischen Meetings. So lassen sich Fehlhaltungen und muskuläre Dysbalancen vermeiden.
Wie hilfreich ist Dehnen im Alter?
Mit zunehmendem Alter nimmt die Beweglichkeit oft ab – die Muskulatur wird steifer, Sehnen verlieren an Elastizität. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis, aktiv und mobil zu bleiben. Dehnübungen sind hier ein wertvolles Mittel, um die körperliche Flexibilität zu erhalten und Verspannungen vorzubeugen.
Für ältere Menschen sollte regelmäßiges Dehnen ein fester Bestandteil des Alltags sein. Schon wenige Minuten gezielter Dehnübungen alle zwei Tage können spürbare Effekte haben. Besonders ab dem 45. Lebensjahr kann das regelmäßige Stretching helfen, die Muskel- und Gelenkfunktion zu bewahren, die Sturzgefahr zu senken und die allgemeine Stabilität zu verbessern.
Wichtig dabei: Gerade Seniorinnen und Senioren sollten sich bei der Auswahl und Durchführung geeigneter Übungen von Physiotherapeutinnen und -therapeuten begleiten lassen. Diese können individuelle Einschränkungen berücksichtigen und ein passgenaues Dehnprogramm erstellen.
Welche Rolle spielt Dehnen im Sport?
Die Meinungen darüber, ob und wann Dehnen im sportlichen Kontext sinnvoll ist, gehen auseinander – nicht nur unter Sporttreibenden, sondern auch in der Wissenschaft.
Christiane Wilke vom Institut für bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation der Deutschen Sporthochschule Köln beschreibt die Diskussion als offen: „Ob Dehnen vor oder nach dem Sport sinnvoll ist oder nicht, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert.“ Letztlich komme es oft auf das subjektive Empfinden an: Wer sich mit Dehnen wohlfühlt, hat bereits einen positiven Effekt erzielt. Andere empfinden Dehnübungen als lästig und lassen sie weg. Ein klares Richtig oder Falsch gibt es nicht. (Quelle: envivas Krankenversicherung AG)
Was jedoch feststeht: Dehnen ist nicht gleich Aufwärmen.
Statisches Dehnen direkt vor dem Training kann die Muskelkraft temporär um bis zu 30 Prozent reduzieren – ein Nachteil insbesondere bei Sportarten, die Schnellkraft erfordern. Der Muskeltonus wird gesenkt, was zwar nach dem Training vorteilhaft sein kann, jedoch vor dem Sport die Leistungsfähigkeit einschränkt und das Verletzungsrisiko erhöht.
Ausnahmen bilden Leistungssportarten wie Turnen oder Ballett, bei denen extreme Beweglichkeit gefordert ist. Hier ist spezielles Dehnen sogar unverzichtbar.
Ein effektives Warm-up hingegen umfasst Aktivitäten wie leichtes Laufen, Hüpfen oder Kniebeugen, um die Körpertemperatur zu erhöhen und die Durchblutung zu fördern. Anschließend folgt eine gezielte Mobilisation der beanspruchten Körperregionen – bei Skifahrern vor allem Beine und Knie, bei Tennisspielern auch Schultern und Arme.
Bei Sportarten mit vielen Richtungswechseln ist gründliches Aufwärmen besonders wichtig, während bei gleichmäßigen Bewegungsabläufen – etwa beim Radfahren oder Joggen – das Risiko von Verletzungen geringer ist.
Dehnen hilft also nicht nur, die Dehnfähigkeit zu verbessern, sondern beeinflusst auch die Muskelspannung. Vor schnellen Bewegungen ist das ungünstig – nach dem Sport hingegen ideal, um den Übergang von Belastung zu Entspannung zu unterstützen. Und ein häufiger Irrtum sei hier noch ausgeräumt: Muskelkater lässt sich durch Dehnübungen leider nicht verhindern.
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